Omegafreunde.de 2019
Rezension Thomas Behlert 2012
Man braucht sich nichts mehr zu beweisen - Die neuen Alben von SBB und Omega  Jedes Jahr im Mai beschäftigt sich das Feuilleton plötzlich wieder mit Musik aus den osteuropäischen Ländern, denn dann ruft der Grand Prix de Eurovision zum ordentlich bescheuerten Gesangswettstreit. Mittlerweile ist es aber egal, aus welchen Ländern die leicht bekleideten Weibchen und die unrasierten debil glotzenden Sänger sind, die Musik klingt gleich und gleicher und am Ende erkennt man einen Dance-Verschnitt. Der angenehm ältere und die DDR-Zeiten ordentlich durchlebte Bürger hat dagegen an die Musik der Nachbarländer eine wohlige Erinnerung. Da bevölkerten Rock- und Bluesbands aus der Ungarischen Volksrepublik, aus der VR Polen und aus dem Bruderland, der siegreichen Sowjetunion, die Radiostationen und Konzertbühnen. Sogar heißer Rock`n Roll aus Rumänien und lustig klingender Pop und Blues aus der CSSR drangen an die noch reinen Ohren. Wer nennt die Namen, wer kann sich noch erinnern: 1972 erschien in der DDR die erste Platte vom Illès-Ensemble, dann folgten Czeslaw Niemen, SBB und Omega. Den Rest kaufte man sich in den Kulturzentren der sozialistischen Länder, in Berlin und Leipzig. Auf einigen wilden Zusammenstellungen („Beatkiste“) waren all die anderen Bands und Combos vereinigt und in den Wertungssendungen („Tip Disco“, „Metronom“) des Rundfunks liefen fast regelmäßig die unverständlichen, mit Zischlauten angereicherten, Songs von den Rockern Scorpio, von den schmalzigen Roten Gitarren, Edda (Hard Rock vom Feinsten), Dwa Plus Jedem und Hungaria. Aber auch die Bluesband Blue Effect kannte man, Bergendy, Generàl, Skaldowie Krakòw, Czerwono-Czarni und Budka Suflera. Alle sind sie verschwunden, nur einige alte Schallplatten konnten gerettet werden. Nicht ganz vergessen und in der Presse, im Plattenladen und gar auf der Bühne auftauchend: Omega aus Ungarn und SBB aus Polen. Im gleichen Atemzug nennt man noch die Ausnahmemusiker von Locomotiv GT und den viel zu früh verstorbenen Czeslaw Niemen. Mister Niemen aus Polen muß bis heute als der interessanteste und ungewöhnlichste Musiker gelten. Er hob die Grenzen zwischen Rock und Klassik auf, schwebte durch den Jazz und präsentierte immer wieder harten bis schmerzlichen Gesang. Gerne bediente sich Niemen der Musiker von SBB, die mit Jazz-Rock begannen und im Laufe der Zeit immer kühner und experimentierfreudiger wurden. 1973 gründeten Jòzef Skerzek, Apostolis Anthimos und Jerzy Piotrowski ihre Band. Zunächst war es die Abkürzung für Schlesische Blues Band, wobei das erste Wort in der DDR nur in Bezug mit Revanchismus vorkam und nur selten genutzt wurde. Mancher, der in der polnischen Musik etwas ganz anderes sah, wollte in dem Kürzel gar eine Verballhornung des polnischen Geheimdienstes (Sluzba Bezpieczenstwa) sehen. Nach ersten eigenen Schritten stand das Kürzel SBB für „Seek, Break, Build“ (polnisch: Szukaj, Burz, Buduj) und alles wurde gut. Das Trio geht mit der Eigenständigkeit auf eine ewige Tour. In den Pausen nehmen SBB Platten auf. Immer wieder sind Jazzmusiker zu Gast, man musiziert mit internationalen Rockgrößen, läßt Pop-Sängerinnen ans Mikrophon oder improvisiert im Studio. Klassik, Rock, Jazz und jede Art neuer Musik verschmelzen miteinander, ProgRock ist zu hören, jede Menge heulende Gitarrensoli von Anthimos, atmosphärische Schlagzeug-Momente und komplizierte Synthesizer-Schleifen. Die erste Platte für den westlichen Markt, „Follow My Dream“, wird 1977 in Hannover aufgenommen. Alle großen Festivals wurden von SBB bespielt, man ging mit westlichen Kollegen auf Tour und legt bis heute regelmäßig Alben vor. Der Höhepunkt ist eine 22-CD Box mit allen offiziellen Veröffentlichungen bis 2004 und einer Raritätensammlung, für die SBB-Kenner Michael Rudolf bis zuletzt kämpfte und sie schließlich glücklich, aber leider nur kurz, in den Händen hielt. Was in der Neuzeit von SBB erscheint, muß man nicht mehr haben, denn die wilden Orgeleien, die ProgRock-Gebilde und die instrumentalen Wettstreite, wer am schrägsten und schnellsten spielen kann, gehören der Vergangenheit an. Ein gerade erschienenes, auch in Deutschland erhältliches, Album wurde nur von den zwei Urmitgliedern Jozef Skrzek und Apostolis Anthimos eingespielt. Neben eher ruhigen und im Popfahrwasser versunkenen Titeln („Piwnica“, „Bunkry wiedenskie“) gibt es ein Wiederhören mit alten Bekannten: „Niemen“, mit dem sie an den Freund und Ausnahmemusiker erinnern, und das zwischen Hard Rock und Artpop pendelnde „Memento“. Hier gibt es die genialen schweren und düsteren Synthi-Klänge, wilde Schlagzeug-Burgen, eine auf und ab schwellende Gitarre nebst verspielten Läufen und ausgelassenen Moog-Einsätzen. Diese, für echte Fans, leider zu ruhigen Songs fügen sich nahtlos in das Spätwerk von SBB ein. Aber, nach einer 40jährigen Karriere und vielen, vielen unvergesslichen Alben brauchen sich Skrzek und Anthimos nichts mehr zu beweisen. Auch die ungarischen Omega sind, trotz hohen Alters, immer noch schwer dabei. Nach dem etwas zahnlosem 2010er Album „Rhapsody“ gibt es nun ein Doppelalbum mit Live-Ausschnitten von den großen 1990er und 2000er Stadionkonzerten, im Budapester Nepstadion. Es rumst und kracht mächtig gewaltig. Es gibt ein Wiederhören mit unvergesslichen Hits, die in der 50 jährigen Karriere entstanden sind. Sogar der Stilwechsel, den die Band in den 1970er Jahren vollzog, wurde ganz hervorragend eingebaut. Es ging vom Hard Rock zu Synthi-Schwelgereien, beeinflußt von Pink Floyd, um schließlich noch etwas New Wave ins Programm aufzunehmen und in einem Mix aus allem zu enden. Auf dem Doppelalbum präsentieren die verdammt gut aufgelegten Lászlò Benkö, Ferenc Debreczeni, Jànos Kòbor, Tàmas Mihàly und György Molnàr alles, was ihre Karriere bis zum heutigen Tag am Laufen hält. Da gibt es das elektronisch eindrucksvolle „Gammapolis“, das sehr eigenartige und trotzdem mitreißende „Petròleumlàmpa“, die unvergleichlichen und mitreißenden Hard-Rock-Stampfer „Varàzslatos fehèr kö“, „Ezüst esö“ und „Hazafelè“ und die zum flennen schönen Balladen „Èbredès“ und „Ballada a fegyverkovàcs fiàròl“. Sogar, die im „DDR-Beatlexikon“ so eindringlich beschriebene Mischung aus ungarischer Folklore und moderner Popmusik ist im stimmungsvollen Song „Lèna“ zu vernehmen. Den Höhepunkt macht schließlich das in der ganzen Welt bekannte, von den fürchterlichen Scorpions schlecht gecoverte und von Frank Schöbel verschlagerte, „Gyöngyhajù làny“. 50 000 singende ungarische Fans lassen dieses, einstmals von Gabor Presser geschriebene, Lied gigantisch erscheinen. Man könnte schon wieder flennen. Wieder wird klar, daß Omega viel mehr sind, als die „ungarischen Puhdys“ (Zitat aus der Jungen Welt 1988). Sie sind Rock`n Roller ohne Fehl und Tadel, fünf Ungarn, die in den Rockolymp gehören und gleich neben der polnischen Band SBB stehen sollten. Wer bringt nun endlich etwas von LGT und Niemen in Deutschland auf den Markt, noch bevor die letzten Fans sterben?